Grab gibt noch heute Rätsel auf

Ogrosen. Erinnerungsstätte in den Freibergen der Calauer Schweiz / Tragödien vor 70 Jahren. Das Grab mit zehn Toten in den Freibergen zwischen Muckwar, Calau und Ogrosen löst noch 70 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen Betroffenheit aus. Dabei besteht unter Nachkommen, Historikern und Autoren gleichermaßen Unklarheit, was sich genau an diesem schwarzen Tag für Ogrosen und in der Zeit danach zugetragen hat.

Nur wenige Menschen kennen das Grab in den Freibergen der Calauer Schweiz. Was auch darauf zurückzuführen ist, dass die Grabstelle abseits von Ortschaften liegt und nur schwer im Wald zu finden ist. Wer den Standort zufällig entdeckt, zeigt sich allemal verwundert von einer Grabfläche inmitten des Kiefernwaldes, die von sieben Betonpfeilern und massiven Eisenketten umsäumt.
Auf dem Grabstein sind die Namen von zehn Personen zu lesen sowie der Hinweis, dass es sich bei diesen um Kriegsopfer handelt, die am 20. April 1945 an dieser Stelle verstarben. Aber was ist an diesem Frühjahrstag (einem Freitag) geschehen?Entlegen im Wald zwischen Ogrosen, Muckwar und Calau befindet sich die Grabstelle auf der zehn Personen bestattet sind.

 

Unaufhaltsam rückt die Rote Armee auf Berlin vor und kämpft sich dabei durch die Lausitz. Vielerorts flüchten Menschen in entlegene Winkel, um sich von den Kriegswirren fernzuhalten. "Rund 75 Prozent der Einwohner von Ogrosen zog es in die Freiberge der Calauer Schweiz", erklärt Ortschronistin Gerda Koppe. Einen Grund dürfte das nahegelegene Quellgebiet Siebenbrunnen geliefert haben, das für die unbestimmte Zeit des Verharrens im Wald den so wichtigen Zugriff auf Trinkwasser garantiert. Ausweglosigkeit, die Angst vor Plünderung, Raub, erschossen oder vergewaltigt zu werden und der immer näher rückende Kanonendonner müssen die Menschen schließlich zum Freitod bewogen haben.
In seiner dokumentarischen Erzählung "Befreit, verfolgt und totgeschwiegen" beziffert Autor Siegfried Schütt die Zahl der Toten auf 42. "Ein Arzt hatte Gift verteilt. Aber das, was er besaß, reichte nicht für alle (…). Da gab er jedem etwas. Die Leute starben jedenfalls langsam und qualvoll", so der Autor aus Dietzhausen (Thüringen) in seinem Buch. Bestürzend: Unter den Toten sollen sich auch eine erschöpfte Frau aus Breslau und ihre gelähmte Tochter befunden haben. 500 Kilometer weit war sie mit dem auf einen Rollstuhl angewiesenen Kind bis nach Ogrosen geflüchtet. Von einem Zeitzeugen hat sich Siegfried Schütt den Anblick schildern lassen und in seinem Buch festgehalten: "Ein Mann, zusammengekrümmt, die Beine bis zur Brust hochgezogen, daneben ein Mädchen, zwei Frauen umarmten sich sitzend an einen Baum gelehnt, einige Kinder zwischen den Erwachsenen. Soweit man schaute, überall zwischen den Bäumen Leichen."
Gerda Koppe empfiehlt, diese Schilderungen "mit Vorsicht zu betrachten". Sie geht davon aus, dass es sich bei den 42 Verstorbenen um die Gesamtzahl derer handelt, die im April 1945 in und um Ogrosen ums Leben gekommen sind. So begehen seinerzeit der Ogrosener Förster und seine Frau im Wald nahe der damaligen Mühle Selbstmord. In der Nähe des Fußweges zur Mühle werden weitere 14 erschossene Leute gefunden, an anderer Stelle ein Vater und seine Tochter, die ihrem Leben ein Ende setzten. "Einzelne Tote wurden später entdeckt. Man hatte Suchtrupps gebildet, um Vermisste zu finden", erzählt Gerda Koppe.
Dabei stützt sich die für ihr Aufstöbern, Notieren und Archivieren von historischen Geschehnissen geschätzte Ortschronistin unter anderem auf Hinweise, die sie Kirchenbüchern entnommen hat.

 

Quelle: Lausitzer Rundschau